Marie-Luise Dingler von „THE TWIOLINS“ im Interview mit mir

Am 23. Juni 2022 war Marie-Luise Dingler bei mir zu Gast. Sie hat nicht nur auf der Schlick-Geige von 1870 gespielt, sondern mir auch einige Fragen zum Buch „Die Dresdner Stradivari“ gestellt. Ich habe das Interview aufgenommen und jetzt auf meine Autorenseite gestellt, weil es zum Teil auch Fragen von Lesern beantwortet.

Marie-Luise

Christine, du hast an deinem Roman „Die Dresdner Stradivari“ drei Jahre gearbeitet. Was hat dich veranlasst, ein Buch über Wilhelm Schlick zu schreiben?

Christine

Hintergrund ist die Geschichte meiner eigenen Schlick-Geige von 1870, auf der ich in den 1960ger Jahren zu spielen lernte. Mit mäßiger Freude und ebenso mäßigem Erfolg. Für meinen Vater war mein Versagen eine herbe Enttäuschung. Nachdem feststand, dass ich nicht die erhoffte Geigenkarriere einschlagen würde, nahm er die Geige an sich.

Erst nach dem Tod meines Vaters erhielt ich sie zurück. Ich ließ sie von einem Geigenbauer auf Vordermann bringen. Er meinte, sie habe einen wunderbaren Klang. Er war es, der mich auf Wilhelm Schlick aufmerksam machte. Mein Interesse war geweckt. Ich begann zu recherchieren. Dabei stieß ich auf Fakten, die Schlicks Geigenbau in ein völlig neues Licht rücken.

Marie-Luise

Und welche Fakten sind das?

Christine

Zum Beispiel, dass Schlick bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in der Lage war, Geigen zu bauen, die denen von Stradivari das Wasser reichen konnten. Meine Behauptung ist historisch belegt. Letztlich ist auch der Ankauf der insgesamt 25 Geigen durch die Dresdner Hofkapelle ein beredtes Zeugnis.

Marie-Luise

Und diese hervorragenden Geigen konnte Schlick bauen, nachdem er eine Methode erfunden hatte, Holz künstlich zu trocken. Ist das richtig?

 Christine 

Nicht nur. Schlick hatte in den 16 Jahren, in denen er dem Geheimnis der italienischen Geigen nachspürte, mehrmals Gelegenheit, Stradivari-Violinen bis ins Detail zu studieren. Es war also nicht nur seine Trocknungsmethode, die ihm den Erfolg brachte. Es war auch sein akribisches Studium dieser hochwertigen Instrumente.

Marie-Luise

Haben die Schlick-Geigen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts den Mythos der unerreichbaren Stradivari-Geigen widerlegt?

Christine

Ja, das kann ich guten Gewissens sagen. Schlicks Geigen haben dem Mythos Stradivari bereits damals den Zauber der Einmaligkeit genommen oder zumindest heftig daran gerüttelt. Mehrere Blindvergleiche hatten das belegt. Einen dieser Vergleiche beschreibe ich im Roman. Wobei ich auch für diese Szene Schlicks originale Niederschrift von 1855 verwendet habe.

Marie-Luise

Ich bin selbst Geigerin und interessiere mich sehr für Geigen. Doch von einem Geigenbauer Wilhelm Schlick hatte ich, bis ich dein Buch las, noch nie gehört. Weshalb kennt ihn heute kaum jemand?

Christine

Die Antwort ist so einfach wie traurig. Schlick war ein bescheidener Cellist in einer berühmten Kapelle, die nach 1855 mehrere Jahrzehnte auf seinen Geigen spielte. Vermutlich hat er in seinem Leben nicht mehr als etwa 40 dieser klanglich hochwertigen Geigen aus künstlich getrocknetem Holz gebaut. Dieser Fakt macht ihn für die Nachwelt schon mal uninteressant. Zudem wurde er als Spinner verlacht, der sich anmaßte, Violinen bauen zu wollen wie die von Stradivari. Und dann waren noch seine enormen Schulden. Um sein anspruchsvolles Ziel zu erreichen, hatte er sich immer wieder hoch verschuldet, was seinem Ruf nicht eben dienlich war.

Der springende Punkt jedoch ist, dass Schlick nie ein Gewerbe angemeldet hat. Deshalb wurde und wird er bis heute nicht als Geigenbauer in Dresden geführt. Nicht einmal der klangliche Qualitätszuwachs der Dresdner Hofkapelle – der heutigen Staatskapelle – nach 1855 wird mit dem Namen Schlick und seinen Geigen in Verbindung gebracht. Auch das Musikinstrumentenmuseum in Leipzig hat nach eigenen Angaben keine einzige aus künstlich getrocknetem Holz gebaute Schlick-Geige in seinem Bestand.

Marie-Luise

Das ist bedauerlich. Man bekommt den Eindruck, als hätte es den Mann und seine Geigen nie gegeben. Dachtest du nach deinen Recherchen ebenso?

 Christine

Durchaus. Die Musikwelt hat Wilhelm Schlick und seine Lebensleistung nicht nur vergessen, sie hat sie im Grunde von Anfang an ignoriert. Lediglich der Klang seiner Geigen hat ihn eine gewisse Zeit überdauert. Ein viel bewunderter, legendär gewordener, heute scheinbar unergründlicher Geigenklang, der damals in der gesamten Kapelle einen hörbaren Qualitätszuwachs bewirkte.

Marie-Luise

Noch mal zum Buch. Du sprichst auf deiner Autorenseite von einem literarischen Experiment – dem Buch im Buch. Was meinst du damit und was ist daraus geworden? Ist das Experiment gestorben?

 Christine

Nein, im Gegenteil, daran arbeite ich. Ich sag mal so: Es wird zwei Romane zum Thema Schlick-Geigen geben. Der zweite spielt in der Gegenwart und erzählt die Geschichte von Martina und Helga. Seit ihrer Schulzeit in den sechziger Jahren sind sie Freundinnen. Martina bekommt nach 50 Jahren ihre Geige zurück und spürt dem Geigenbauer Schlick nach. Sie möchte herausfinden, wie die Geige in ihre Familie gekommen war. Martina wird krank. Während Helga um die Freundin bangt, nimmt sie sich deren Recherchen vor und schreibt ein Buch. Es soll eine Überraschung sein, ein Geschenk zu Martinas 60. Geburtstag. Und dieses Buch trägt den Titel: Die Dresdner Stradivari.

Das ist das Buch im Buch. Ein eigenständiger Roman, der hier nur als Schaffensprozess erwähnt wird. Die Handlung des zweiten Romans wird richtig spannend, mit vielen überraschenden Wendungen und authentischen Geschehnissen. Wobei ich mir diesmal den Luxus erlaube, auch meine Fantasie spielen zu lassen und mir den Fortgang der Handlung auszudenken. Doch mehr möchte ich noch nicht verraten.

Marie-Luise

Weißt du schon, wann dieses zweite „Geigenbuch“ erscheint?

Christine

Wenn ich mit den „Glücksorten im Erzgebirge“, an denen ich zurzeit arbeite, fertig bin und mich voll auf die Geschichte von Martina und Helga konzentrieren kann. Ob ich das bis Jahresende 2023 schaffe, weiß ich nicht. Doch ich arbeite daran!

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