Lange galten Violinen wie die von Stradivari als unerreichbar in ihrer klanglichen Qualität. Inzwischen bröckelt der Mythos. In mehreren Doppelblindstudien schnitten moderne Geigen ebenso gut und teilweise sogar noch besser ab. https://www.concerti.de/nachrichten/mythos-stradivari-entzaubert/.
Der Mythos Stradivari entstand Anfang des 19. Jh. Bis dahin war es ein Privileg des Hochadels, sich musikalische Kapellen zu halten. Es war gleichzeitig auch eine Prestigefrage, die Musiker und Komponisten zu Höchstleistungen anspornte. Nach dem Sieg über Napoleon entwickelten die Bürger ein neues Demokratiebewusstsein. Sie forderten städtische Klangkörper, pflegten die Hausmusik und gewährten ihren Kindern Musik- und Instrumentalunterricht. Sprunghaft stieg der Bedarf an Instrumenten, vor allem an Streichinstrumenten.
Ein neuer, recht lukrativer Markt entstand. Viele Geigen – viel Gewinn! Die Qualität blieb dabei auf der Strecke. Der Unterschied zu den alten italienischen Geigen war gravierend. Mit der Zeit bekamen sie so etwas wie einen Heiligenschein, und jeder Solist wollte (und konnte) nur auf einer dieser alten Italiener spielen.
Seitdem versucht man unaufhörlich, hinter das Geheimnis des Geigenbauers Stradivari zu kommen. Alle paar Jahre wird zu diesem Thema eine neue Kuh durchs Dorf getrieben. Von der Lagerung der Stämme in Wasser, über das Einimpfen von Pilzmyzel in das Holz, bis hin zur Behandlung des Holzes mit Alaun und anderen Chemikalien, spezieller Methoden der Holztrocknung, der Zusammensetzung des Lacks und einem sensationellen mathematischen Konstruktionsprinzip. https://www.br-klassik.de/themen/klassik-entdecken/interview-simone-zopf-stradivari-mass-geigenbau-100.html.
Inwieweit heutige Geigenbauer die o.g. Methoden so oder abgewandelt für ihre modernen Geigen verwenden, bleibt ihr Geheimnis. Fakt ist, dass sie den Stradivaris inzwischen ihren Heiligenschein genommen haben. Wohl auch deshalb, weil sich immer mehr junge Solisten für eine moderne, oftmals kaum 2o Jahre alte Geige entscheiden.
Wilhelm Schlick gehörte Mitte des 19. Jh. zu den ersten Geigenbauern Europas, die klanglich hochwertige Violinen gebaut haben. Ob es nun seine Methode der Holztrocknung war, seine Erkenntnisse der chemischen Mischung des Lacks oder die Tatsache, mehrere Stradivaris akribisch vermessen zu können – bleibt sein Geheimnis. Ich glaube, die Summe all dessen hat ihn – bewusst oder zufällig – zu seiner Meisterschaft gebracht.